Wie sieht der Islam den Umgang mit der Materie? Was bedeutet Leben und das Ausführen von alltäglichen Angelegenheiten?
Nun, der Islam sieht den Umgang mit der Materie, das Sich-Einfügen des Menschen in die Natur und die Art und Weise zu leben als Bestandteile des göttlichen Willens. Zu bezeugen, dass die gesamte Schöpfung nach Gottes Willen besteht und funktioniert, und zu handeln, wie es Gott befohlen hat, so dass das menschliche Handeln im Einklang mit der Schöpfung ist, ist der Kernpunkt dieser Religion.
Und dazu gehört ein wichtiger Umstand, nämlich dass der gläubige Muslim sich als Gottes Eigentum versteht und deshalb bezeugt, dass er all seine Handlungen nur für Allah ausführt:
Gewiss, mein Gebet und mein Opfer, mein Leben und mein Sterben
gehören Allah, Dem Herrn der Weltenbewohner.
(Der Heilige Koran; 6, 162)
Und dass er deshalb folgende Worte als Gottes Willen anerkennt:
Und Ich (Allah) habe die Jinn und die Menschen
nur (dazu) erschaffen, damit sie Mich verehren.
(Der Heilige Koran; 27, 56)
Dementsprechend ist das gesamte Leben Anbetung. Aber wie ist das zu verstehen? Nun, der Mensch ist dazu aufgerufen, die Schöpfung weder als Außenstehender zu betrachten noch sie auszubeuten. Er soll sich jedoch selber als Bestandteil der Schöpfung sehen, dem Gott die spezielle Anweisung erteilt hat, mit den übrigen Geschöpfen auf dieser Welt in Harmonie zu leben. Und über diese Anweisungen informiert uns Allah durch Seinen Heiligen Koran und Seinen Propheten und Auserwählten Muhammad (möge Allahs Heil und Frieden mit ihm sein).
So ist die höchste Stufe in Sache Frömmigkeit in der Tat die eigene Untertänigkeit anzuerkennen, sich als Eigentum Gottes zu verstehen und sein Leben in der Anbetung Allahs zu gestalten. Aber der wichtige Punkt ist, dass dieses Gott gewidmete Dasein nicht lebensverneinend sondern bejahend ist. Denn es gehört zu unserem dankbaren und anständigen Benehmen, die von Gott geschaffenen, lebensbejahenden Prozesse und Gegenstände zu akzeptieren und in Empfang zu nehmen.
Der Islam lehrt also keinen Dualismus zwischen „Geistig“ und „Weltlich“ wie nach christlichem Verständnis, sondern er ermutigt den Menschen, sein Leben nach den von Allah gewollten Maßstäben zu leben und die Absicht zu haben, Ihm dafür zu gefallen und von Ihm belohnt zu werden. Wenn der Muslim also Gutes tut und Schlechtes meidet und auf dem Allah genehmen Weg wandelt, wenn er also verantwortungsbewusst seine Pflichten erfüllt, weil er weiß, dass Allah ihn beobachtet und von ihm Rechenschaft fordern wird, dann werden ganz alltägliche Aufgaben zu frommen Verrichtungen.
Wenn die Mutter also pflichtbewusst ihre Kinder erzieht, der Vater und Ehemann seine Familie unterhält, die erwachsenen Kinder sich um ihre Eltern kümmern; wenn der Mensch seinen Nachbarn, Arbeitskollegen und Mitstudenten u.a. respektvoll behandelt, den Kranken besucht und den Bedürftigen unterstützt; wenn er gute Worte redet, Diffamierungen und üble Nachreden meidet; wenn der Student gewissenhaft sein Studium zu Ende bringt; wenn der Arzt seinen Patienten behandelt, der Veterinär sich um die Vierbeiner kümmert, der Angestellte verlässlich für seine Firma arbeitet und der Ingenieur pflichtbewusst eine neue Maschine baut, dann bekommen all diese Handlungen eine Note der Frömmigkeit, wenn sie ausgeführt werden, weil Gott es so verlangt.
Anders herum gesagt: man hilft nicht dem Bedürftigen, weil man meint, später von ihm dafür etwas verlangen zu können, nach dem Prinzip „eine Hand wäscht die andere“, sondern weil der Reiche die Verantwortung für den Bedürftigen hat und er als Spender im Diesseits seiner ihm von Allah auferlegten Pflicht nachkommt und den Lohn von Allah im Jenseits erwartet.
Ebenso integrieren die muslimischen Eltern das Memorieren des Korans in den Erziehungsplan ihrer Kinder, nicht etwa, damit der Nachwuchs einen Preis in einem Wettbewerb erhält und sie sich vor anderen Eltern rühmen können, sondern weil sie das Memorieren des Korans als eine Tugend im Diesseits verstehen und sie für alle Familienmitglieder Allahs Wohltat angewandt wissen möchten, die der Memorierende am Tag des Eintritts ins Paradies erhält:
قال رسول الله صلي اله عليه وسلم : ( يقال لقارئ القرآن : اقرأ ورتل وارتق كما كنت ترتل في الدنيا فإن منزلتك عند آخر آية كنت تقرؤها ) رواه أبو داود والترمذي وصححه الألباني
Man wird dem Koran-Rezitierenden sagen: “Trage [aus dem Koran] wohlgeordnet vor und steige [die Etagen des Paradieses] hoch, so wie du im irdischen Leben vorzutragen pflegtest. Dein Zuhause befindet sich dort, wo du den letzten Vers rezitierst.”