„Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt“, das waren die Worte mit denen Emmanuel Kant Geschichte schrieb.
Für den großen deutschen Philosophen ist Freiheit ein Zustand, in dem innerhalb von gezogenen Grenzen die freie Wahl der Worte und des Handelns besteht. Und die Grenzen, das sind die Freiheit, die Rechte, die Würde der anderen. Handelt aber der Mensch oder äußert seine Meinung auf Kosten der Rechte anderer unter dem Vorwand, seine eigene Freiheit zu leben, dann sind sein Handeln und seine Worte Willkür.
Dass aber diese ehrenvolle Maxime nicht immer und ausschließlich zu tragen kommt, das haben unverantwortlich und provokativ handelnde Karikaturisten gezeigt. Leider meinen sie in diesem einundzwanzigsten Jahrhundert ihre Meinung illustrieren zu müssen, in dem sie unglückliche Ereignisse im heutigen Weltgeschehen in Bezug zum Propheten Muhammad setzen und ihn auf spöttische Weise darstellen. Ohne zu wissen, wie der Prophet des Islam wirklich gedacht und gehandelt hat, geben sie von ihm ein unwirkliches Bild und vermitteln einen falschen Eindruck.
Für den Muslim ist dieses Benehmen inakzeptabel, provokativ, kränkend, undiszipliniert und pöbelhaft. Eine gesamte Religionsgemeinschaft, die diesen Propheten als Vorbild nimmt, fühlt sich durch diese Beleidigungen und Herabwürdigungen gekränkt. Doch kann ein beständiges Miteinander der Religionsgemeinschaften in einer multikulturellen Gesellschaft nur mit einem Mindestmaß an zivilisiertem Verhalten und gegenseitiger Respekterweisung ablaufen. Einige Karikaturen aber, die böswillig beabsichtigt sind und demütigen wollen, können das friedliche gesellschaftliche Miteinander in Gefahr bringen und eine Spirale des gegenseitigen Hasses entwickeln, besonders wenn sie wieder und wieder gezeigt werden. Schließlich käme es niemals einem Muslim in den Sinn, die im Judentum und Christentum verehrten Propheten und Heiligen zu karikieren. Niemals würde er Jesus oder Moses herabwürdigen, niemals einen Apostel oder Maria.
Würden jedoch all die Argumente ausreichen, dem Zeichnen von derartigen Hassbotschaften Einhalt zu gebieten? – Wohl unwahrscheinlich! Der hasserfüllte Leser dieser Zeitschriften sucht doch den Spaß im Hass, und da er dafür Geld auszugeben gewillt ist, ist das Zeichnen ein lukratives Geschäft. Und das aufzugeben ist man trotz aller Moral und Demokratie nicht bereit.
Das Problem ist komplex. Muslime fühlen sich gekränkt, nicht weil sie, sondern ihr Prophet zum Opfer des Spottes gemacht worden ist. Es steht nicht ihre Würde auf dem Spiel, sondern die ihres Propheten. Versuchen wir also zu verstehen! Was geht in einem Muslim vor, der sich einer derartig provokativen Situation ausgesetzt sieht?
Der Muslim glaubt, dass Gott Muhammad dazu erwählt hat, das Siegel der Propheten zu sein und die Offenbarung des Korans zu erhalten. Ein Engel namens Gabriel überbrachte diese göttliche Botschaft, die aus Glauben und frommem Handeln besteht. Der Muslim hat heute also dieses Buch in der Hand, weil zwei von Gott erwählte Personen diese Worte übermittelt haben.
Prophet Muhammad trat zu einer Zeit auf, als es für die Menschen keine andere Möglichkeit der Rechtleitung mehr gab als durch einen Neuanfang. Die vorhergegangenen offenbarten Schriften waren nicht mehr vorhanden und die Religion des Moses oder des Messias war entfremdet. Wäre Gott nicht nachsichtig gewesen und hätte nicht den Menschen eine weitere Gelegenheit gegeben, Rechtleitung zu finden, so wären sie – so glaubt der Muslim – für immer verloren gewesen.
Es gibt zwei Lebensbereiche, die Welt des Lichtes – das ist der aufrichtige Glaube – und die Welt der Dunkelheit – das ist der Unglaube. So erwählte Gott seinen Propheten Muhammad in einer Zeit, in der sich Dunkelheit und Unglauben auf der Erde verbreitet hatten. Der Prophet setzte für diese Mission sein Leben ein und erinnerte unaufhaltsam die Menschen daran, seiner Botschaft zu folgen, um mit dem Paradies belohnt zu werden – eine aussichtsreiche Heilsbotschaft (Koran, 62,2-4). Der bewusste Muslim weiß also, was er seinem Propheten zu verdanken haben, deshalb liebt er ihn.
Der Muslim memoriert die heilige Schrift und lernt über den Propheten, dessen Biographie und Verhalten, das er für sein eigenes Verhalten als Vorbild nimmt. In zahlreichen muslimischen Haushalten sind die Bücherregale mit Büchern der Sira (Biographie) und mit Sammlungen von Ahadith (Worte und Taten des Propheten) gefüllt. Muslimische Gelehrte der ersten Generationen haben in diesen zahlreichen Werken bis ins kleinste Detail das Leben des Propheten beschrieben, so dass der Muslim der heutigen Zeit ihn so genau kennen, als befände er sich noch unter uns.
Jene mediävalen Gelehrten waren in der Lage ein authentisches Bild vom Propheten zu hinterlassen. Und sie haben dabei Exaktheit, Rationalität und Besonnenheit an den Tag gelegt. Karikaturen sind dahingegen fiktiv, imaginär und basieren auf keiner authentischen Biographie. Sie werden entworfen, um eine gewisse Emotion hervorzurufen und um leider auch Hohn und Spott zu provozieren.
Man könnte sich fragen, was der Prophet im Falle einer Provokation oder Demütigung gemacht hatte. Ein Blick in den Koran vermittelt uns schnell, dass Spotten, Provozieren und Demütigen nicht ein modernes Problem ist, sondern dass es ein derartig unkultiviertes und rüpelhaftes Verhalten schon immer gegeben hat.
In der Tat hatten alle Propheten Gegner (6,10), die versuchten zu demütigen, und daran hat sich bis heute nichts geändert. In diesem Sinn sind die Verse (15, 11-12) darauf hinweisend, dass die böse Gewohnheit, sich über die Gesandten lustig zu machen, in die Herzen der Übeltäter eingezogen ist. So gaben und geben die Gegner der Propheten ihrer Unzufriedenheit freien Lauf, dass sie mit der Botschaft, die die Propheten von Gott erhielten und den Menschen weitergaben, nicht einverstanden sind (21,36). Und was den Ausgang der Spötter betrifft, so erfahren wir in (6,10): „Da fiel auf diejenigen, die über sie spotteten, das zurück, worüber sie sich lustig zu machen pflegten.“
Wie jene vergangenen Propheten wurde auch Prophet Muhammad zu Lebzeiten verspottet, worauf der Koran an verschiedenen Stellen Bezug nimmt. Der Prophet, der nur ein Bote der göttlichen Botschaft und ein Mensch mit Gefühlen war, fühlte sich natürlich durch den Spott und die hasserfüllten Worte bedrängten und verletzt. Als das der Fall war, ermutigte ihn Gott, mit seiner Mission unbefangen fortzufahren und sich von seinen Gegnern abzuwenden (15,94), versprach ihm Schutz vor den Spöttern (15,95) und kündigte deren angemessene Strafe an. Schließlich tröstete Gott den Propheten wegen all dieser Schwierigkeiten und versprach ihm Belohnungen in dieser Welt und insbesondere im Jenseits. In dieser Hinsicht möge folgendes Ereignis ein Beispiel sein, als ein gewisser Ibn Wa’il den Propheten wegen des Todes seines letzten Sohnes verspottete. Als Reaktion darauf verkündete Gott dem Propheten als Belohnung „Al-Kauthar, einen Fluss im Paradies, dessen Ufer aus Gold und dessen Flussbett aus Perlen bestehen. Sein Wasser ist weißer als Milch und süßer als Honig “(Exegese 108, 1, nach Ibn Kathir). Was den spöttischen Ibn Wa’il betrifft, so werde er mit Sicherheit ohne Nachwelt sein (108, 3).
Was nun die abendländische Verspottung des Propheten Muhammad betrifft, so ist auch sie ein altes Problem, die bis ins zwölfte Jahrhundert zurückreicht. Als damals die erste Übersetzung des Korans angefertigt wurde, konnten Christen in der Heiligen Schrift der Muslime das erste Mal lesen, dass Gott dementiert, Sich einen Sohn genommen (18, 4 und 19, 90-91) und die Kreuzigung des Messias erlaubt zu haben (4, 157). Beide Aussagen seien Lügen, die sich einige Menschen ersonnen haben. Die Kirche reagierte darauf und schrieb diese Koranübersetzung als Polemik gegen den Islam und fertigte darauf basierend weitere Streitschriften an. Auch die boshafte Verformung seines Namens „Muhammad/Ahmad“ (der Geehrteste) in „Mahomet“ (der Nichtgeehrte) reicht in diese Zeit.
Wie also sollte eine angemessene Reaktion auf die von den Karikaturisten propagierte Provokation aussehen? Wenn der Muslim sich am Verhalten des Propheten inspiriert, dann weiß er ja, wie die geeignete Reaktion auf derartige Provokationen auszusehen hat. Generell gilt, dass derjenige, der den Propheten verspottet, Gott gegen sich hat. Deshalb übt der Muslim erst einmal Geduld und ist von der göttlichen Gerechtigkeit überzeugt. Darüber hinaus muss er sich unbedingt an folgenden Befehl halten: „Wenn ihr hört, daß man Allahs Zeichen verleugnet und sich über sie lustig macht, dann sitzt nicht mit ihnen (zusammen), bis sie auf ein anderes Gespräch eingehen. Sonst seid ihr ihnen gleich“ (4,140). In diesem Sinn ist der Muslim verpflichtet, sich von jenen Karikaturisten zu distanzieren und sich von ihnen abzuwenden, bis sie das Thema wechseln.
In Erwartung auf diesen Themenwechsel und auf die Rückkehr zu den guten Prinzipien, die Philosophen wie Emmanuel Kant aufgestellt haben, lesen wir abschließend die warnenden Worte eines anderen Philosophen, nämlich des Franzosen Voltaire, der schon im achtzehnten Jahrhundert derartigen Problemen entgegensah, als er schrieb: „Die Franzosen sind nicht für die Freiheit gemacht; sie würden sie nur missbrauchen “.